„Rugby statt GTA 4“ – Christian Pfeiffer im Interview

Hier hab ich ein interessantes Interview von Golem mit Christian Pfeiffer. Ich finde die Sichtweise von ihm interessant und bei manchen Dingen würde ich ihm sogar Recht geben.

Kriminologe für regelmäßige Überprüfung von Rollenspielerweiterungen

„World of Warcraft ist keine Märchenstunde mehr“, sagt Christian Pfeiffer und fordert deshalb eine Freigabe ab 18 Jahren. Der Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen sprach mit Golem.de über das Foltern von Schimpansenbabys, GTA 4 und die Gewalt des Paten.

Golem.de: Für die Spieleindustrie sind Sie ein rotes Tuch…

Christian Pfeiffer: Es ist unvermeidbar, dass wir die Interessen der Industrie tangieren, wenn wir etwa die Empfehlung abgeben, Bildschirme aus den Kinderzimmern zu werfen. Aber wir haben nicht speziell ein Feindschaftsverhältnis. Wir könnten uns vorstellen, dass die Industrie einmal Spiele produziert, von denen wir ganz begeistert sind.

Golem.de:
Also Spiele frei von jeder Gewaltdarstellung.

Pfeiffer:
„Gewaltfrei“ würde ich nicht sagen, aber nicht mit solchen exzessiven Gewaltorgien, wie man sie bei Der Pate oder GTA 4 sieht. Wenn es Spiele gibt, die schlicht die Spiellust befriedigen, wie wir das früher mit Brettspielen getan haben, dann ist nichts dagegen einzuwenden.

Golem.de: GTA 4 hat weltweit höchstes Lob von Medienseite bekommen, etwa von der New York Times. Nämlich als Meilenstein der interaktiven Unterhaltung, als bitterböse Gesellschaftssatire…

Pfeiffer: …nein, das ist kein Meilenstein, das ist exzessive Gewalt und übersteigt vieles, was es bislang gab! Wir haben das Spiel komplett nachgespielt, es hätte indiziert werden müssen! Es wird zum Prestigeobjekt auf den Schulhöfen, weil die Journalisten es in einem wahren Medienhype gefeiert haben. Wenn ich bei meinen wöchentlichen Veranstaltungen, bei denen ich 500 Kinder erreiche, frage, wer aktuell GTA spielt, dann sind es bei den 14-jährigen Jungen schon etwa ein Drittel! Der Jugendmedienschutz funktioniert überhaupt nicht, die Klassifizierung ab 18 wirkt eher wie ein Ritterschlag.

Golem.de: Ich spiele GTA 4 mit großem Vergnügen. Besonders freut mich die satirische Abrechnung mit den Auswüchsen der US-Populärkultur. Ihnen ist das nicht aufgefallen?

Pfeiffer: Ich sehe diese ironischen Elemente sehr wohl, aber GTA 4 trainiert viel zu sehr exzessive Gewalt. Und es hat Untertöne, die völlig inakzeptabel sind: Einmal wird ein Diamantenhändler getötet, der ist Jude und verhält sich genauso wie „Jud Süß“. GTA 4 sollte konsequenter von Kindern und Jugendlichen ferngehalten werden. Und das geht heutzutage über Indizierung.

Golem.de: Die Gewaltdarstellung in den Medien, bis hin zu den Nachrichtensendungen, hat deutlich zugenommen. Das scheint ein gesellschaftliches Phänomen zu sein. Wie wollen Sie das stoppen?

Pfeiffer: Man kann die Konsequenzen deutlich machen. In Filmen hat man auch lange Zeit hemmungslos Humphrey Bogart und seine Partnerinnen qualmen lassen, heute werden Sie solche Szenen nicht mehr sehen. Weil es jedem bewusst geworden ist, dass Rauchen schädlich ist. Die Spieleindustrie behauptet immer noch, Gewaltexzesse in Computerspielen hätten keine gewaltsteigernde Wirkung, und stützt das mit gekaufter Forschung.

Das Rauchen allein bringt keinen ins Grab, und GTA 4 allein macht niemanden zum Amokläufer. Es müssen immer andere Belastungsfaktoren hinzukommen, etwa innerfamiliäre Gewalt, Misserfolg in der Schule oder soziale Außenseiterrolle. Eine einmalige Befragung ist kein Beweis.

Aber wir sind länger an denselben Probanden drangeblieben, und siehe da: Diejenigen, die intensiv in der 3. und 4. Klasse solche Spiele genutzt haben, sind im Alter von elf oder zwölf Jahren deutlich stärker gewalttätig geworden. Dasselbe gilt für die Schulleistung: Wir haben fünf Gruppen von 18- bis 25-Jährigen jeweils eine Beschäftigung vorgegeben: Sport, harmloser Film, Sims, brutaler Film, brutales Spiel. Im Anschluss mussten sie Matheaufgaben lösen. Die Spieler des brutalen Spiels schafften 10 Punkte, die Sporttreibenden 15 Punkte, und die, die den brutalen Film sahen, lagen in der Mitte.

Golem.de:
Daraus folgern Sie wohl, Computerspiele seien schlimmer als brutale Filme?

Pfeiffer: Nicht nur wir! Und auch Empathieverluste sind beim Computerspielen viel stärker ausgeprägt als beim Filmegucken.

Golem.de: Wann wurden bei dem Test die Matheaufgaben gestellt: Direkt nach der Tätigkeit?

Pfeiffer: Fünf Minuten später.

Golem.de:
Bei den von Ihnen erwähnten Empathiemessungen ist nur unmittelbar nach dem Spielen ein auffälliger Wert festgestellt worden, wenig später hat sich das nivelliert.

Pfeiffer: Natürlich, das würde auch für den Mathetest gelten. Nur: Wenn die Kinder täglich solche Spiele spielen, reduzieren sie ihre Empathie nachhaltig. Das macht sich die amerikanische Armee zunutze: In großen, computerspielähnlichen Kinos probt man den Ernstfall. Mit dem Ergebnis, dass die Soldaten viel stärker befähigt sind, ohne Hemmungen den Gegner zu töten. Wenn die amerikanische Armee das gezielt einsetzt, ist es ja wohl absurd zu behaupten, dass das keine Folgen hat!

Golem.de: Ich weiß nicht, was die amerikanische Armee mit unserem täglichen Leben zu tun hat. Es ist doch vielmehr so, dass in Deutschland die schweren Gewalttaten zurückgehen, und zwar seit Jahren.

Pfeiffer: Weil das Durchschnittsalter der Bevölkerung steigt, sinken „Junge Männer“-Delikte wie Mord und Totschlag, Autodiebstahl, Wohnungseinbruch. Zudem werden die verbleibenden Fälle viel öfter aufgeklärt, und das schreckt ab. Doch gleichzeitig nehmen die Körperverletzungen junger Menschen zu!

Golem.de: Wir sind in Deutschland in der glücklichen Situation, seit sechs Jahrzehnten keinen Krieg mehr erlebt zu haben. Könnte es nicht sein, dass die mediale Auseinandersetzung mit Gewalt eine Kompensation für das Erleben echter Gewalt darstellt – und somit einen wichtigen, gesunden Prozess?

Pfeiffer:
Das ist ja eine schöne Idee. Aber Entwicklungspsychologen und Neurobiologen sehen das anders: Im Mann existiert aus Arterhaltungsgründen ein hohes Potenzial an Selbstverteidigungsfähigkeit. In Regionen, in denen es keinen funktionierenden Rechtsstaat gibt, wird dieses Kämpferbild noch heute praktiziert – und ist dort funktional. Doch in unseren Breitengraden wird das Gewaltpotenzial der jungen Männer nicht mehr richtig abgerufen.

Golem.de: Dann müsste es Sie doch freuen, dass es Spiele mit Gewaltdarstellung gibt.

Pfeiffer: Nein, nein. Diese Kampfbereitschaft der Jungen kann man dadurch auffangen, dass man ihnen in Ganztagsschulen nachmittags Rugby anbietet. Ein exzessiver Gewalt-Männersport, wunderbar in den Rollen und im Austobepotenzial! Die Umsetzung dieser Männerpotenziale in Richtung fantasiehaftes Töten am Computer ist hingegen überflüssig wie ein Kropf.

Golem.de: Sie empfehlen Rugby statt GTA 4?

Pfeiffer: Genau. Es ist auch gar nicht so, dass Männer, die diese Gewaltspiele spielen, damit ihre Gewaltpotenziale abarbeiten. Die Schulen bieten Jugendlichen generell nur Wissensvermittlung, aber keine Möglichkeit, ihre Männlichkeit positiv zu erfahren. Dort, wo in Deutschland solche Freizeitangebote in erhöhtem Maße bestehen, nämlich im wohlhabenden Süden, greifen erheblich weniger Jugendliche zu gewalttätigen Spielen. In München spielen 10 Prozent der zehnjährigen Jungen Spiele ab 16, in Dortmund sind es 24 Prozent.

Golem.de: Sie wettern auch gegen World of Warcraft und fordern dafür USK 18.

Pfeiffer: Das erste World of Warcraft ist nicht mehr vergleichbar mit dem heutigen, das exzessive Gewalt zeigt. Ich kann nachvollziehen, dass die USK das erste Spiel – in Unkenntnis seiner Suchtwirkung – als ab zwölf eingestuft hat. Aber in der aktuellen Version werden Menschen getötet, und dann kommt die Aufforderung, Ratten zu fangen, damit diese die Körper abnagen. Es gibt Folterszenen, es werden Splitterbomben eingesetzt. Kleine Schimpansenbabys müssen gefangen und mit Elektroschocks gequält werden, damit sie ihre Mütter herbeirufen, die man dann töten muss. World of Warcraft ist keine Märchenstunde mehr!

Golem.de: World of Warcraft verwendet einen harmlosen Cartoonstil.

Pfeiffer: Ich habe noch nie ein so schönes Spiel gesehen von der Ästhetik her. Wenn man da auf den Schwingen eines Phantasievogels über die Landschaft gleitet… Und es gibt viele humorige Sachen im Spiel. Aber trotzdem USK 18, denn in den Wirkungen ist WoW grauenhaft destruktiv: 35 Prozent der männlichen jugendlichen Spieler nutzen es pro Tag mindestens viereinhalb Stunden. Sie verbringen mehr Zeit mit World of Warcraft als mit Schulunterricht. Da ist das Leben aus der Balance geraten! Zudem sind 9 Prozent der WoW-Nutzer süchtig, nach einschlägigen Indizien wie Kontrollverlust, Entzugserscheinungen, Schlafprobleme. Andere Computerspiele entfalten nicht diese Suchtwirkung – auch aufgrund der intermittierenden Verstärkung von WoW: Belohnungen sind von Glücksfällen abhängig statt nur von der eigenen Leistung, und längere Spieldauer bringt einen höheren Erfolg. Das gefährdet vor allem die „ohnmächtigen“ Jugendlichen, weil sie dort endlich Anerkennung bekommen. Die von mir genannten Zahlen stammen aus einer Untersuchung mit 45.000 Jugendlichen, von denen ein Drittel auch zu WoW befragt wurde.

Golem.de: Bringen WoW und vergleichbare Spiele den Jugendlichen nicht Dinge bei wie Hartnäckigkeit in der Zielerreichung oder gemeinsame Aufgabenlösung?

Pfeiffer: Es ist schon richtig, man lernt Pflichtbewusstsein und Pünktlichkeit, man kommuniziert herrschaftsfrei. Das sind Dinge, die auch im Berufs- und sozialen Leben helfen. Aber: Das lernt man auch beim Fußballspielen. Bei WoW gerät man in den Sog des Spiels. Ich weise warnend auf das Beispiel Südkorea hin, wo es 96 Kliniken gibt mit Spezialabteilungen für Computerspielsüchtige, und über 1.000 hauptamtliche Suchtberater nur in diesem Bereich.

Golem.de: In Deutschland gilt eines der weltweit härtesten Altersfreigabesysteme für Computerspiele. Schützen demnach andere Länder ihre Jugendlichen noch schlechter als Deutschland?

Pfeiffer: Uns sagen die amerikanischen Kollegen, dass ihre Kultur noch stärker unter den Computerspielexzessen zu leiden hat als unsere. Weil dort die Selbstkontrolle noch schlechter funktioniert. Ich bin in Kürze im britischen Parlament, um mit den Abgeordneten über Kriminalität zu diskutieren. Während wir einen Rückgang bei den Tötungsdelikten haben, gibt es in England eine dramatische Entwicklung. Ich werde den Abgeordneten sagen, dass ein Faktor dafür auch die medialen Gewaltexzesse sind. Es gibt zudem Schicht- sowie interfamiliäre Faktoren, aber da können wir weniger tun. Bei den Medien können wir etwas tun!

Wir in Deutschland haben den speziellen Nachteil der Halbtagsschulen, das erlaubt benachteiligten Kindern, nachmittags stundenlang im Medienkonsum zu versinken, so dass im Ergebnis deutsche Kinder schlimmer dran sind.

Golem.de: Was hat Sie dazu bewogen, den „Kölner Aufruf“ zu unterzeichnen? Dort steht unter anderem: „Games-Konzerne dienen als Teil des militärisch-industriell-medialen Komplexes dazu, mit ‚Spielen‘ die künftigen Soldaten heranzuziehen.“

Pfeiffer: Da geht es um die internationale Spieleindustrie. Die amerikanische Armee setzt Spiele gezielt im Training ein. Ich vermute aber nicht, dass es in Deutschland irgendeine Verbindung der Computerspieleindustrie zur Bundeswehr gibt. Nicht jedes Wort in diesem „Kölner Aufruf“ finde ich richtig. Die Eltern werden darin in meinen Augen zu sehr entlastet. Aber es war mir nicht möglich, mit meinen Bedenken durchzudringen. Da ich dem Text im Großen und Ganzen zustimmte, habe ich ihn unterzeichnet. [das Interview führte Jörg Langer, es erschien kürzlich in unserem Partnermagazin IGM.]

Ein Gedanke zu „„Rugby statt GTA 4“ – Christian Pfeiffer im Interview“

  1. Teilweise liegt der Mann sehr richtig, aber in einigen Punkten muss ich ihm klar widersprechen.
    „Gewaltspiele“ machen nicht direkt aggressiv, denn die virtuelle Gewalt wird in einem anderen Teil des Hirns verarbeitet als reelle Gewalt. Das wurde in einer Studie bewiesen.

    Allerdings stimmt es schon, dass man den Jugendschutz besser durchsetzen sollte. Wenn ich mit dem Bus fahre und neben mir einen 11-jährigen höre, der groß tönt, dass er sich GTA gekauft hat finde ich das schon arg. In dem Alter können die Kinder noch nicht den möglichen Sinn des Spiels genau erfassen.

    Anders ist es bei „reiferen“ Jugendlichen. Je nach der geistigen Entwicklung würde ich schon einem 16-Jährigen zutrauen, dass er die Gewalt in Spielen durchaus von der Gewalt in der Realität zu distanzieren weiß.

    Fakt ist, dass Spielen alleine einen Menschen nicht zu einem Killer macht – jedenfalls nicht in der Realität.

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